Dies ist der Versuch, im Vorfeld der Bundestagswahl im September 2017 die wesentlichen sozio-ökonomischen Eckdaten zur Entwicklung Deutschlands in den vergangenen 16 Jahren seit 2001 (in einigen Fällen sogar in den vergangenen 26 Jahren seit 1991) auf vier Seiten zusammenzufassen. Wo immer dies möglich war, habe ich die Daten aus offiziellen Quellen extrahiert (z. B. Statistisches Bundesamt, Europäische Statistikbehörde, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, OECD). Eine ausführliche Fassung mit sämtlichen Datenquellen und Hintergrundinformationen unter dem Titel „Das Bessere ist der Feind des Guten – Warum Deutschland einen Politikwechsel braucht“ finden Sie hier: https://tivot.blog/2018/02/10/das-bessere-ist-der-feind-des-guten-warum-deutschland-einen-politikwechsel-braucht/.

Vielleicht bietet Ihnen die Datensammlung ja die eine oder andere Orientierungshilfe für Ihre Wahlentscheidung bei der kommenden Bundestagswahl am 24.09.2017.

1. Bruttoinlandsprodukt, Wirtschaftswachstum, Außenhandelsüberschuss, Staatsschulden, Haftungsrisiken und Sozialtransfers

2018-07-01_KuBra Consult - Sozio-ökonomische Eckdaten Deutschland 2016-17 - Folie 01

2. Durchschnittseinkommen, Anzahl Erwerbstätige, Arbeitslose, Leiharbeiter, Hartz IV-Empfänger und Einkommensmillionäre

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3. Privatvermögen, Unternehmensgewinne, Nettoinvestitionen, Realeinkommen

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4. Altersstruktur, Steuer- und Abgabenquote, Spitzensteuersatz, Rentenniveau, Rentenhöhe, Renteneintrittsalter, Relation Mieter&Wohneigentümer, Immobilienpreise

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Kritische Würdigung:

Deutschland geht es auf makroökonomischer Ebene gut, allerdings profitieren vor allem Wirtschaft (d. h. die Eigentümer und Aktionäre der Unternehmen), Reiche und der Staat vom Wachstum der Umsätze und Unternehmensgewinne, während in den Portemonnaies der Arbeitnehmer und sozial Schwachen wenig von dieser positiven Entwicklung und den Wohlstandszuwächsen ankommt. Der Umfang der Sozialtransfers ist mit 29% vom Bruttoinlandsprodukt beträchtlich: Der deutsche Staat und seine Sozialversicherungen geben jährlich rund 918 Milliarden € für Soziales einschließlich Renten und Transferzahlungen aus (davon 666,1 Milliarden €/Jahr bzw. 72,6% für die folgenden vier Ausgabenposten:

  1. Rentenversicherung mit 293,3 Milliarden €/Jahr bzw. 31,9 %,
  2. Krankenversicherung mit 220,7 Milliarden €/Jahr bzw. 24 %,
  3. Jugend- und Sozialhilfe mit 78,0 Milliarden €/Jahr bzw. 8,5 %
  4. Pensionen und Beihilfen mit 74,1 Milliarden €/Jahr bzw. 8,1 %).

Dies führt wiederum zu einer hohen Belastung der Einkommen der Arbeitnehmer (mittleres Einkommen (Median) von 3.000 €/Monat brutto für Arbeitnehmer in Vollzeitbeschäftigung) mit Steuern und insbesondere Abgaben (49,8 % Abzüge bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer in Deutschland; der Spitzensteuersatz von 42% greift bereits bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 53.666 € – das entspricht 4.472 €/Monat). Weil auch Sparguthaben seit 2008 keine Zinsen mehr abwerfen, müssen (zu) viele Bürger in Deutschland von der Hand in den Mund leben und sind nicht in der Lage, Privatvermögen aufzubauen oder Wohneigentum zu erwerben (die reichsten 10 % besitzen 60 %, die ärmsten 50 % nur 2,5 % des Privatvermögens).

Da die gesetzliche Altersversorgung ihren Namen immer weniger verdient, wäre der Aufbau von Privatvermögen bzw. Erwerb von Wohneigentum, aber dringend notwendig, um zu verhindern, dass zig Millionen von Bürgern in die Altersarmut abrutschen. Laut dem Statistischen Bundesamt können ca. 19,5 Millionen Arbeitnehmer, deren Bruttolohn unter 2.330 €/Monat liegt, im Alter nur mit einer gesetzlichen Rente auf dem Grundsicherungsniveau von derzeit 795 € rechnen (das sind ca. 44 % der aktuell ca. 44,16 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland).

Und last but not least: Deutschland ist unter dem Strich sicher keiner der großen Profiteure des Euro – vor allem, wenn man die gravierenden Nachteile für Konsumenten (bis zu 30% höhere Kosten für Importprodukte und Reisen gemessen am „fair value“ des Euro für Deutschland von 1,54 $/€) und Sparer (248 Milliarden € entgangene Zinsen per saldo nach Abzug der Vorteile durch günstigere Darlehenszinsen zwischen 2010 und 2017) sowie die immensen Ausfall- und Haftungsrisiken für den deutschen Steuerzahler in Höhe von 1,6 Billionen € mit in die Betrachtung einbezieht.

Es ist im Übrigen sehr wichtig, sich nicht von der guten Entwicklung der makroökonomischen Kennzahlen (Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit) blenden zu lassen. Denn die vergleichsweise gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wurde und wird durch Einflussfaktoren bzw. Rahmenbedingungen wesentlich begünstigt, die von der deutschen Bundesregierung weder herbeigeführt wurden, noch durch sie beeinflussbar sind und die sich jederzeit zu Ungunsten Deutschlands verändern können. Dies sind z. B. der zu niedrige Wechselkurs des Euro, die niedrigen Leitzinsen oder der niedrige Ölpreis, die besonders der exportorientierten deutschen Wirtschaft zugute kommen. Der zu niedrige Wechselkurs des Euro hat darüber hinaus nicht nur positive Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft, denn er hat den Druck von den deutschen Unternehmen genommen, ihre Produktivität kontinuierlich zu steigern und an das internationale Wettbewerbsniveau anzupassen.

Ungeachtet der vorgenannten Fakten sind laut einer aktuellen Studie des (arbeitgebernahen) Instituts der deutschen Wirtschaft fast zwei Drittel (65,2 %) der Bundesbürger der Ansicht, dass sie zumindest einen „gerechten“ oder gar einen „mehr als“ gerechten Anteil am Wohlstand erhalten. Gut 29 % der Bundesbürger haben den Eindruck, dass ihnen „etwas weniger“ als ein gerechter Anteil zukommt. Und nur knapp 6 % der Bundesbürger sind der Meinung, ihr Anteil am Wohlstand sei „sehr viel weniger“ als gerecht. Dazu passt, dass sich im vergangenen Jahr 79 % der Befragten zur oberen Hälfte der Gesellschaft dazugehörig fühlten, was natürlich unlogisch, wenn nicht gar abstrus, ist.

Stellen Sie sich vor dem Gang in die Wahlkabine am 24.09.2017 drei einfache Fragen:

  1. In welchem Bereich der Politik (Wirtschaft, Energie, Arbeit, Rente, Gesundheit, Bildung, Justiz, Umwelt, Verkehr, Europa-, Außen- und Verteidigungspolitik, …) hat es in den vergangenen 12 Jahren seit dem Amtsantritt von Angela Merkel wesentliche, nachhaltige und für die überwiegende Mehrheit der deutschen Bürger spürbare positive Verbesserungen gegeben?
  2. Mit welchem großen politischen Projekt verbinden Sie die Regierungszeit von Angela Merkel (in Größenordnung von Gerhard Schröders „Agenda 2010“, Helmut Kohls „10-Punkte-Plan“ zur deutschen Wiedervereinigung, Helmut Schmidts Beiträgen zur Integration der EU, z. B. durch das „Europäische Währungssystem (EWS)“ oder Willy Brandts „Wandel durch Annäherung“ in der Ostpolitik)?
  3. Zu welchem ausländischen Regierungschef hat Angela Merkel besonders gute persönliche Beziehungen zum Nutzen der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut und gepflegt, wie das z. B. bei Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing bzw. Henry Kissinger der Fall war oder bei Helmut Kohl und Michail Gorbatschow bzw. Francois Mitterand oder bei Gerhard Schröder und Wladimir Putin bzw. Tony Blair?

Mir persönlich fallen zu allen drei Fragen keine nennenswerten Antworten ein …

Was aber könnte bzw. müsste man tun, um die Situation zu verbessern?

Der erste Schritt wäre eine Steuerreform, bei der sämtliche Ausnahmetatbestände und Subventionen bis auf einen Grundfreibetrag und eine Vereinfachungspauschale gestrichen werden und der progressive Einkommensteuertarif durch einen dreistufigen Tarif, z. B. mit 12, 24 und 36 Prozent ersetzt wird. Dadurch hätte man ein einfaches, transparentes Steuersystem mit international wettbewerbsfähigen Steuersätzen, wodurch Steuerhinterziehung und Steuervermeidung deutlich zurückgehen würden, was wiederum dem Staat deutlich höhere Steuereinnahmen bescheren würde. Zusätzlich sollte man die Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft koppeln.

Der zweite Schritt wäre die Einrichtung eines Staatsfonds nach dem Vorbild von Norwegen oder Singapur, der genutzt werden könnte, um massiv in Bildung, Infrastruktur und Zukunftstechnologien zu investieren – einschließlich Künstlicher Intelligenz, Quantum Computing oder umweltfreundlichen Technologien zur Beeinflussung des Klimawandels –  und um die Bürger am Produktivvermögen zu beteiligen. Damit könnte man mehr Menschen in angemessen bezahlte Arbeit bringen, was wiederum die Sozialtransferleistungen und die Sozialabgabenquote reduzieren würde. Auch der deutsche Außenhandelsüberschuss mit dem zwangsläufig einhergehenden Kapitalexport ins Ausland würde sinken. Dieser Staatsfonds könnte auch genutzt werden, um das NATO-Ziel von 2% Verteidigungsausgaben in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt zu erreichen, denn durch Künstliche Intelligenz und Quantum Computing verändern sich selbstverständlich auch die Spielregeln der Verteidigung bzw. Kriegsführung.

Der dritte Schritt wäre eine „Existenzgründungsoffensive“, vor allem im Bereich der Digitalisierung und Automatisierung sowie bei Erneuerbaren Energien und Elektromobilität; auch Cyber Security wäre ein lohnendes Thema. Die Existenzgründung in Deutschland müsste vereinfacht und gefördert werden z. B. durch Coaching bzw. Mentoring, Bereitstellung von modernen Shared Office-Infrastrukturen mit leistungsfähigen Digitalnetzen und einfachen Zugang zu deutschem Risikokapital (in den USA lag das Risikokapital in 2015 bei zehnfachen Volumen des deutschen Wertes von 3,9 Milliarden USD). Diese Maßnahme würde Arbeitsplätze zu schaffen und dazu beitragen, die Innovationsschwäche im Bereich der Digitalisierung zu überwinden und hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen.

Der vierte Schritt wäre die effektive Regulierung des Finanzmarktes einschließlich einer angemessenen Besteuerung von kurzfristigen Spekulationen (z. B. Hochfrequenzhandel, Leerverkäufe, Derivate – insbesondere kreditbesicherte „Wertpapiere“), um diese möglichst unattraktiv zu machen und Kapital in langfristige Investitionen zu lenken, die der Realwirtschaft und dem Gemeinwohl nutzen. Asoziales Spekulantentum zu Lasten des Gemeinwohls (Cum-Ex, Cum-Cum) muss gesellschaftlich geächtet und drastisch sanktioniert werden – genauso wie Steuerhinterziehung oder Schwarzarbeit.

Der fünfte und wichtigste Schritt besteht in der Restrukturierung des deutschen Bildungssystems einschließlich zentraler Lehrpläne und Bildungsstandards, die durch alle Bundesländer einheitlich umgesetzt werden. Im Zuge dessen sollten Maßnahmen getroffen werden, um die Chancen- und Befähigungsgerechtigkeit für Kindern aus sozial schwachen Schichten zu erhöhen (heute studieren drei Viertel der Kinder von Akademikern, aber nur ein Viertel der Kinder von Nichtakademikern) und um Medienkompetenz für den Umgang mit einer zunehmend digitalisierten Welt zu vermitteln. Der Staat sollte Vorreiter und Vorbild bei der Digitalisierung sein und moderne bürgerfreundliche Prozesse unter Nutzung des elektronischen Personalausweises oder durch Überführung von öffentlichen Registern (Meldewesen, Führerscheine, Kataster) in Blockchains implementieren.

Durch diese fünf Maßnahmen – insbesondere Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Zukunftstechnologien – könnte man einen Investitionsschub erzeugen, der dazu führt, dasd brachliegende Potenziale endlich genutzt werden und Deutschland seine Potenziale ausschöpft. Ich persönlich glaube auch, dass die Eurozone in ihrer gegenwärtigen Form nicht zu halten ist. Entweder man wandelt die Eurozone offiziell in eine Transferunion um, bei der die Deutschen dauerhaft die Mittelmeerländer sponsern (analog zur deutschen Wiedervereinigung), oder man zerlegt die Eurozone in zwei Währungsgebiete, in denen jeweils Länder mit vergleichbarer Wirtschafts- und Währungskultur zusammengefasst werden. So, wie in den letzten 9 Jahren seit Ausbruch der globalen Finanzkrise in 2008, kann und darf es nicht mehr weitergehen, sonst war der BREXIT nur ein Anfang und die EU bricht endgültig auseinander.

Der Kabarettist Volker Pispers hat schon vor Jahren sehr pointiert auf den Punkt gebracht, was Angela Merkel als Regierungschefin charakterisiert: Sie agiert nicht, sondern sie reagiert nur. Egal, ob Energiewende, Zukunft der EU, Euro- oder Flüchtlingskrise: Es gibt keine Vision, keine Ziele und schon gar keine Strategie zur langfristigen Entwicklung unseres Landes (siehe: https://youtu.be/uzsSGvKZf-c).

Stattdessen werden Probleme entweder ausgesessen oder durch hektische Ruderschläge und blinden Aktionismus in allerletzter Minute angegangen – allerdings nur dann, wenn die Probleme für die Wähler so offensichtlich geworden sind, dass eine Reaktion sich absolut nicht mehr vermeiden lässt. Wie der Tennisspieler Björn Borg versteht es Frau Merkel, den Ball so lange über das Netz zu schlagen, bis der Gegner ermüdet ist und Fehler macht.

Leider sind die Alternativen zu Frau Merkel bei der kommenden Bundestagswahl am 24.09.2017 noch trostloser, aber man sollte seine Wahlentscheidung zumindest bewusst und in Kenntnis der Fakten treffen.

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