Das „Netzwerk Steuergerechtigkeit Deutschland“ setzt sich für Transparenz auf den internationalen Finanzmärkten ein und lehnt Geheimhaltungspraktiken ab. Es unterstützt faire Spielregeln im Steuerbereich und stellt sich gegen Schlupflöcher und Verzerrungen bei Besteuerung und Regulierung und gegen den Missbrauch, der aus diesen folgt. Es fördert die Einhaltung von Steuergesetzen und lehnt Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und all jene Mechanismen ab, die es Vermögenseigentümern und -verwaltern ermöglicht, sich aus der Verantwortung gegenüber den Gesellschaften zu stehlen, von denen sie und ihr Wohlstand abhängen. Als zentrales Anliegen lehnt es Steuer- bzw. Verdunkelungsoasen ab.

Der nachfolgende Text ist ein Auszug aus dem „Informationsbrief des Netzwerks Steuergerechtigkeit Deutschland“ vom Juli 2016 unter der Überschrift „Der Kampf gegen aggressive Steuervermeidung hat begonnen – aber der Weg ist noch lang „.

Experten schätzen, dass bereits ein Fünftel des Weltvermögens vor den Steuerbehörden der Staaten versteckt wird und erhebliche Teile der Gewinne von internationalen Konzernen nicht mehr versteuert werden. Ereignisse wie der HSBC-Skandal, Luxemburg-Leaks und die Panama Papers haben ein öffentliches Bewusstsein für die Problematik von Steuerflucht und -vermeidung geschaffen.

Worum geht es?

Wer sich mit Steuervermeidung beschäftigt, muss drei unterschiedliche Problemkomplexe unterscheiden:

1. Steuervermeidung durch Konzerne:

Hierbei geht es um die systematische und aggressive Vermeidung von Steuerzahlungen durch internationale Konzerne wie IKEA, BAYER, Amazon, Apple und viele weitere. Diese nutzen mittlerweile alle Möglichkeiten und Lücken der Steuergesetzgebung bis an die Grenze der Legalität (teilweise auch darüber hinaus) weltweit aus, um ihre Steuerzahlungen zu minimieren. Dabei werden sie von den großen Unternehmensberatungen, insbesondere von den „Big Four“, unterstützt.

2. Steuervermeidung durch reiche Individuen:

a. Aggressive Steuervermeidung von Individuen, Korruptionsgelder und Geldwäsche: Reiche Menschen aus dem Globalen Norden wollen ihr Vermögen nicht versteuern. Milliardäre aus Schwellenländern wie China, korrupte Politiker und kriminelle Organisationen aus aller Welt waschen und verstecken das Geld aus Geschäften wie Waffen-, Drogen- und Menschenhandel. Banken und Steuerberater bieten sowohl legale wie auch illegale Methoden an, mit denen Steuern vermieden und illegale Gelder gewaschen werden können.

b. Steuerprivilegien der Superreichen: Hierbei geht es um die Praxis der weitgehenden Steuerbefreiung von sehr großen Vermögen, die sich seit den 1980er Jahren schrittweise weltweit durchgesetzt hat. Diese Entwicklung ist die Hauptursache der zunehmenden Akkumulation von Vermögen und der wachsende Ungleichheit weltweit, Trotzdem spielt diese Thema in der öffentlichen Debatte bis heute kaum eine Rolle, vermutlich auch weil dies legal ist.

Es handelt sich zwar um grundsätzlich getrennte Komplexe, die aber natürlich in einem engen Zusammenhang stehen und sich überlagern. Aus Kriminellen könnten Superreiche werden. Reiche und Superreiche sind an Konzernen beteiligt oder besitzen sie ganz.

Zur Frage, was legal, illegal bzw. illegitim ist: Die Abgrenzung ist fließend. Bill Dodwell, leitender Angestellter der Unternehmensberatung Deloitte, sagte dazu: „Wir beantragen eine Steuerrückzahlung, wenn die Chance, vor Gericht zu bestehen, größer als 50% ist.“ Man muss aber festhalten, dass die systematische Ausnutzung von Gesetzeslücken, die oft sogar in Steueroasen dafür konstruiert wurden, um Steuern zu vermeiden, als illegitim betrachtet werden muss – egal wie die Bewertung des Gerichtes im Einzelfall ausfällt.

Die Dimension des Problems

Trotz jahrelanger Bemühungen der UN, der OECD und der EU, die Steueroasen einzudämmen, ist das Problem der Steuervermeidung ständig größer geworden:

  • Nach Schätzungen des Tax Justice Network befinden sich bis zu ein Fünftel des Vermögens der Welt in sogenannten Steueroasen, um sich einer angemessenen Besteuerung zu entziehen.
  • Dem deutschen Staat entgehen durch Steuervermeidung jährlich bis zu 30 Mrd. Euro.
  • Dazu kommt der Schaden durch Geldwäsche, der allein jährlich einen Schaden von ca. 100 Mrd. Euro anrichtet.
  • Es gibt einen internationalen Steuersenkungswettbewerb. Dabei spielt die Europäische Union (EU) teilweise eine treibende Rolle.
  • Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind durch die Steuerstrategien internationaler Konzerne massiv benachteiligt.
  • Die Konzentration von privaten Vermögen und die Herausbildung immer größerer Konzerne verleihen diesen auch wachsende politische Macht. Regierungen stehen unter Zwang, deren Interessen zu berücksichtigen, um nicht Kapitalabzug sowie Verluste von Investitionen und Steuereinnahmen zu riskieren.
  • Hauptverlierer sind die Länder des Globalen Südens, die in besonderer Weise von Steuervermeidung multinationaler Konzerne aber auch von Korruption und illegaler Kapitalverschiebung betroffen sind.
  • Normale Bürger zweifeln zunehmend an der Gerechtigkeit unserer Gesellschaft. Die Bereitschaft Steuern zu zahlen wird dadurch untergraben
  • Man kann also mit guten Gründen feststellen, dass die zunehmende Konzentration von Vermögen und damit auch von Macht die Welt destabilisiert und Errungenschaften der Aufklärung und damit die Demokratie gefährdet.

Wie funktioniert die Steuervermeidung?

Das System der Steuervermeidung funktioniert zweistufig. Auf der ersten Stufe geht es um die Vermeidung von Unternehmenssteuern durch internationale Konzerne. Auf der zweiten Stufe geht es um die Vermeidung der Einkommens- und Vermögenssteuern durch diejenigen, die solche Konzerne besitzen.

Das Ergebnis ist dann die zunehmend Konzentration der Vermögen und die Zunahme von Multimillionären und Milliardären. Für die Länder des Globalen Süden kommt der massive Verlust von Vermögen durch die Kapitalflucht hinzu.

I. Die Steuertricks der Konzerne

Das heutige System der internationalen Unternehmensbesteuerung geht davon aus, dass Gewinne in dem Land besteuert werden, in dem sie anfallen. Die Verrechnungspreis- Richtlinien der OECD sollen sicherstellen, dass dies in der Regel auch das Land ist, in dem die Gewinne real erwirtschaftet werden.

Dabei ist es bisher sehr unterschiedlich, was die Staaten jeweils im Einzelnen besteuern und in welcher Höhe. In der Praxis funktioniert dieses System immer schlechter, weil

  • die Hälfte des Welthandels mittlerweile innerhalb transnational agierender Konzerne stattfindet, was Gewinntransfer in andere Staaten sehr erleichtert;
  • der immaterielle Wertanteil von Waren und Dienstleistungen längst größer ist als der eigentliche Produktionswert, der sich noch einigermaßen kontrollieren lässt;
  • der Internethandel immer mehr wächst.

Die Steuervermeidungstechniken werden im BEPS-Bericht der OECD detailliert beschrieben. Im Prinzip bestehen sie stets darin, Gesetzeslücken zu nutzen und Gewinne innerhalb eines Konzerns oder einer Konzerngruppe dorthin zu verschieben, wo sie möglichst niedrig oder gar nicht besteuert werden – also in die Steueroasen. Gewinne können sowohl innerhalb eines Konzerns oder zwischen verbundenen Konzernen verschoben werden. Die wichtigsten Instrumente, um Gewinne in Niedrigsteuerländer zu transferieren, sind nachfolgend dargestellt:

  • Verrechnungspreise: Die Preise für den Handel von Waren und Dienstleistungen zwischen Tochterunternehmen, insbesondere für immaterielle Werte, werden so festgesetzt, dass die Gewinne in Niedrigsteuerländern fließen. So kostet eine Bluse von Gucci ohne das Label nur ein Drittel des Preises. Wo und wann dieser immaterielle (Mehr-)Wert geschaffen worden ist, ist leicht manipulierbar.
  • Zinsen: Investitionen in Hochsteuerländern werden fremdfinanziert, so dass erhebliche Teile der Gewinne in Form von Zinsen (also steuermindernden Unkosten) in Steueroasen transferiert werden können. In Belgien können sogar fiktive Zinsen abgezogen werden. So reduzierte die BAYER AG ihre Steuern von 30% auf 4,3%.
  • Patentgebühren, Lizenzgebühren und Franchisinggebühren: Die Patent- bzw. die Markenrechte liegen bei einer Tochterfirma in einem Niedrigsteuerland. An diese Tochter werden große Teile der Gewinne als Gebühren überwiesen. So gehen Patentgebühren für die Nutzung des GoogleAlgorithmus an eine Tochterfirma auf den Bermudas, wodurch der Steuersatz auf unter ein Prozent gedrückt wird.
  • Versicherungen, Derivate, Garantien, Kundenkredite: Konzerne haben Töchter in Steueroasen, die dann für sie Versicherungen, Derivathandel, Garantien und Kundenkredite abwickeln, wofür sie von den Firmen in Deutschland bezahlt werden. So wandern weitere Gewinne dorthin. Zum Beispiel versichert IKEA ihre Märkte über eine Versicherung in Luxemburg, die wiederum bei einer Rückversicherung in Curacao rückversichert ist. Beide gehören der Familie Kamprad, die auch IKEA kontrolliert.
  • Patentbox, Innovationsbox usw.: Patent-„Boxen“ sind besondere Steuerermäßigungen für Firmen, die technische oder konzeptionelle Forschung und Entwicklungen durch hochqualifizierte Experten betreiben. Beim LuxLeaks-Skandal wurde zum Beispiel enthüllt, dass der Stromkonzern E.on eine Briefkastenfirma in Luxemburg mit Patentbox besaß, obwohl diese keine Forschung betrieb. Das war sogar nach Luxemburger Recht illegal.
  • Hybride Finanzinstrumente: Unterschiedliche rechtliche Bewertungen von Eigen- oder Fremdkapital und von Zinszahlungen oder Vergütungen in zwei oder mehreren Staaten ermöglichen die Steuervermeidung – auch innerhalb der EU.
  • Treaty Shopping: Transaktionen werden oft über mehrere Firmen in Staaten/Steueroasen mit unterschiedlicher Rechtsprechung geleitet, wobei Lücken in den Doppelbesteuerungsabkommen (DoubleTax-Treaty) dazu führen, dass am Schluss kein Land für die Besteuerung zuständig ist. Eine bekannte Methode trägt den hübschen Namen „Double Irish with Dutch Sandwich“, ein komplexes Modell, an dem in der Regel fünf Firmen eines Konzerns beteiligt sind.
  • Internethandel: Die Versteuerung erfolgt nicht im Land des Kunden, sondern am Standort des Computers des Internethändlers, der in einer Steueroase steht. Hierbei geht es nicht nur um die Vermeidung von Unternehmenssteuern sondern auch um die Vermeidung von Umsatzsteuern. Bekanntestes Beispiel ist Amazon, dessen Auslieferungslager sogar in Deutschland stehen, aber dort nicht als Betrieb gelten, da die Geschäfte ja offiziell in Luxemburg abgewickelt werden.
  • Stiftungen: Stiftungen sind in manchen Staaten steuerbegünstigt. Oft genießen sie auch Privilegien und Steuervergünstigungen, wenn sie gemeinnützig sind, ohne dass das in irgendeiner Weise gerechtfertigt ist. So muss die INTEROGO-Stiftung in Liechenstein, die den IKEA-Konzern kontrolliert, als Familienstiftung ohne unternehmerische Tätigkeit trotz Milliarden-Gewinn nur eine Pauschalsteuer von 1200 Schweizer Franken bezahlen.

Weitere Methoden: Es gibt – auch in Deutschland – gesetzliche Regelungen, die systematischen Missbrauch ermöglichen, wie

  • Nichtbesteuerung von stillen Reserven
  • das Absetzen von Veräußerungsgewinnen und Auslandsinvestitionen
  • Verlustzuweisungen
  • Vermeidung der Grunderwerbssteuer bei Immobilienverkäufen
  • Dividendenstripping (Steuervermeidung durch Verkäufe und Rückkäufe von Aktien um den Ausschüttungstermin – sog. CumCum- und Cum-Ex-Geschäfte).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass diese Methoden meist legal sind, aber oft auch die Grenzen der Legalität systematisch ausgereizt werden. So hat die Veröffentlichung der Pläne der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers in Luxemburg (Lux-Leaks) auch eine Reihe von illegalen Praktiken aufgedeckt (siehe die obigen Beispiele von E.on und Amazon), so dass die EU-Kommission in einigen Fällen Klage erhoben hat.

II. Steuervermeidung durch reiche Individuen

Der Fachbegriff in der Bankenwelt für ihre reiche Kunden lautet High Net Worth Individuals (HNWI). Gemeint sind damit die Dollarmillionäre.

Einen besonders wichtigen Kundenkreis bilden die Ultra High Net Worth Individuals (UHNWI) mit einem Vermögen oberhalb von 30 Mio. US-Dollar. Ein noch exklusiverer Kreis sind schließlich die Milliardäre und die Multimilliardäre. Dabei gilt die Regel, dass das Vermögen umso schneller wächst, je größer es ist. Nach Piketty liegt das durchschnittliche Wachstum bei ca. 2%, dass der Multimilliardäre aber bei fast 7% über die letzten 30 Jahre.

Die wichtigsten Methoden der Steuervermeidung von reichen Einzelpersonen sind in nachfolgend dargestellt:

  • Wohnsitzverlagerung: Diese Methode ist bekannt von einigen Schauspieler und Sportler wie Michael Schumacher oder Boris Becker. Beliebt sind Steueroasen wie Monaco und bestimmte Orte in der Schweiz, die als Wohnsitz angegeben werden. Hält sich die Person jedoch weniger als 183 Tage im Jahr in Monaco auf, so ist die Methode nach deutschem Recht illegal.
  • Wechsel der Staatsbürgerschaft: Diese Methode wird von Staatsbürgern der reichen Welt nicht genutzt, wohl aber von reichen Individuen aus Osteuropa oder Ländern des Globalen Süden, meist aus Gründen der Sicherheit, der Freizügigkeit und auch aus steuerlichen Gründen. Bekannte EU-Staaten, die ihre Staatsbürgerschaft verkaufen, sind Malta (für 650.000 Euro), Ungarn, Griechenland, Zypern und Österreich.
  • Unterbringen von Geld in Steueroasen: Dies ist praktisch immer illegal, wurde aber bislang von deutschen Banken und Steuerberatern unterstützt und vermittelt. Während deutsche Staatsbürgern ihr Geld aus Sicherheitsgründen meist in der Karibik unterbringen – aber auch die Schweiz und Liechtenstein waren lange attraktiv – so legen Multimillionäre aus den Südländern (Ölmagnaten aus Afrika oder Russland, Waffenhändler, Drogenhändler, aber auch Unternehmer aus instabilen Staaten) ihr Geld auch in Deutschland an. Das Vermögen von Ausländern im Deutschland beträgt geschätzte ca. 3 Billionen Euro. Da Deutschland die Heimatländer (außer der USA auf Grund des FACT Abkommens) nicht darüber informiert, liegt die Vermutung nahe, dass dieses Geld weitgehend unversteuert bleibt. Umgekehrt wird das in Steueroasen untergebrachte Vermögen deutscher Staatsbürgern auf über 400 Mrd. Euro geschätzt.

Während alle vorstehend beschriebenen Verfahren erhebliche Risiken ins sich bergen, haben es die richtig großen Firmenerben viel einfacher. Ihr Vermögen wächst nämlich weitgehend steuerfrei, da Wertsteigerungen nicht versteuert werden. Es ist der Verdienst von Thomas Piketty, dass er auf diesen erstaunlichen Tatbestand hingewiesen hat. Häufig wird versucht, dies damit zu rechtfertigen, dass der Gewinn ja schon als Unternehmensgewinn versteuert wurde. Aber diese Argumentation geht aus mehreren Gründen an der Sache vorbei, denn:

  • Ausgeschüttete Gewinne unterliegen genauso wie thesaurierte Gewinne, die im Unternehmen bleiben, zuvor der Unternehmenssteuer. Die doppelte Besteuerung ist also gewollt.
  • Sie werden deshalb trotzdem mit der Abgeltungssteuer belegt, thesaurierte Gewinne aber nicht. Es sei denn, der Firmenbesitz wird verkauft. Da aber Erben großer Firmen in der Regel ihren Besitz nicht verkaufen, wachsen viele Vermögen unversteuert über Generationen.
  • Diese Privilegierung der großen Vermögen setzt sich fort bei der Erbschaftssteuer. Der real gezahlte Durchschnittssteuersatz lag bei kleinen Vermögen bis 300.000 Euro über 13%, bei großen Erbschaften über 20 Millionen Euro bei nur 1,5%. So bleiben die Wertzuwächse auch noch weitgehend erbschaftssteuerfrei.
  • Dazu kommt: Viele Wertsteigerungen sind keineswegs durch Gewinne entstanden, die versteuert wurden. So wachsen Immobilien im Wert auch ohne dass Gewinne thesauriert wurden oder dass in die Firma investiert wurde. Auch andere Firmen – wie zum Beispiel typischerweise Internetkonzerne, Modelabels usw. erzielen häufig riesige Wertsteigerungen, ohne dass zuvor entsprechende Gewinne erzielt wurden. Diese Wertsteigerungen sind völlig steuerfrei, unterliegen also weder der Unternehmenssteuer und – solange es nicht zum Verkauf kommt – auch nicht der Einkommenssteuer.

Den vollständigen Informationsbrief findet man unter:

https://netzwerksteuergerechtigkeit.files.wordpress.com/2014/06/info-steuergerechtigkeit_stand-nach-beps3.pdf

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